OTTO BOLL
Fundstücke / Schauwerkzeuge
-
Die Galerie Dierking zeigt in ihren Räumlichkeiten am Zürcher Paradeplatz auf zwei Etagen Skulpturen und Modelle des 1952 in Issum bei Geldern geborenen deutschen Künstlers Otto Boll. Die Werkauswahl wird im Zusammenspiel mit antiken Kunstwerken, die vom Bildhauer aus den Sammlungsbeständen der Kunsthandlung Jean David Cahn AG / Basel ausgewählt worden sind, präsentiert.
Ich gehe davon aus, dass die Dinge,
die ich schaffe, zu Stützen werden und gezielt auch
die Bewegungen beinhalten, die dem forschenden
und nach vorne gerichteten Denken selber zu eigen sind.
Die Bewegungen und den Raum des Denkens
und der Vorstellung selbst möchte ich
stärker begreifen lernen...
Otto Boll
Gedanken zu dem Dialog von Otto Boll
Ein männlicher Torso, vielleicht der eines Kriegers, vielleicht der eines Bogenschützens – über ihm schwebend eine hauchdünne Linie wie ein Schnitt in der Wand? Im Raum? In der Zeit?
Nur auf einem Punkt in der linken Hand einer kleinen Statuette eines Komödienschauspielers aus dem 4. Jahrhundert vor Christi liegend, schwingt sich eine andere Linie im weiten Bogen in den Raum hinein. Auf das Fragment einer römischen Wandmalerei antwortet ein aus vier feinsten Linien geformtes, nicht ganz in sich geschlossenes Quadrat als Markierung einer weiteren Bildebene, eines imaginären Bildraums. Mit einem Augenzwinkern sucht der Bildhauer Otto Boll mit seinen, aufs Äußerste reduzierten Arbeiten den Dialog mit den von ihm für diese Ausstellung ausgesuchten Zeugnissen vergangener Zeiten und Kulturen. „Das Gesamte soll ein Gespräch sein“, das eher auf Improvisation beruht denn auf einem konkret ausformulierten Skript. Der Fokus liege auf dem, wie er sagt, „was die Dinge untereinander wollen, was sie miteinander zu tun haben.“
Wie bei seinen zeichnerischen Skulpturen geht es Otto Boll in dieser spielerischen Gegenüberstellung einmal mehr um das Schauen und das körperliche Wahrnehmen als für das Verstehen essentielle. Erst in der Bewegung um eine Arbeit herum, im Wechsel der Perspektiven gibt sich diese zu erkennen, denn „ein Dabeisein, die Präsenz, die Nähe der Arbeiten ist notwendige Voraussetzung für ein unmittelbares Erleben.“ - Ob der schwebenden, den Raum durchmessende, ihn durchschneidenden, ihn definierenden Linien – oder ob der Figuren, Schalen, Beilklingen vergangener Kulturen.
Unserem Wunsch als Betrachter, das hier Gesehene sowie das Erlebte in Worte zu fassen, es zu verstehen, wird in diesen Begegnungen nicht selten Einhalt geboten. Natürlich steht uns ein Vokabular zur Verfügung in Form von Begriffen wie Grundform, vergleichbarer Grundstrukturen, analogen Formprinzipien dieser so verschieden daher kommenden und so weit auseinander liegenden Zeiten und Kontexten zugehörigen Werken. Dieses Vokabular kann uns als Instrument dienen, das Gesehene und augenscheinlich Empfundene auf eine rationale und damit auf eine auch objektiv nachvollziehbare Basis zu stellen. Doch Boll geht es um etwas anderes, etwas, was er in einem Bereich verortet, der sich eben diesem Rationalen weitgehend entzieht, ohne dadurch willkürlich oder weniger zwingend zu sein. „Ich gehe davon aus, dass die Dinge, die ich schaffe, zu Stützen werden und gezielt auch die Bewegungen beinhalten, die dem forschenden und nach vorne gerichteten Denken selber zu eigen sind. Die Bewegungen und den Raum des Denkens und der Vorstellung selbst möchte ich stärker begreifen lernen...“ – in dieser Ausstellung geschieht dies im gedanklichen wie formalen „Spiel“ mit Zeugnissen vergangener Kulturen als dem Form gewordenen Ringen um letztlich vergleichbare gedankliche und gestalterische Fragestellungen. Denn was macht diese ungebrochene Faszination von diesen künstlerischen Zeugnissen aus, dieser auch im Kontext von Funktionalität vor Jahrhunderten und Jahrtausenden gefundenen „Lösungen“ zur Form von Gefäßen, Spangen? Boll spricht davon, dass die Herstellung einer Skulptur, eines Gefäßes mit Körperempfindung zu tun hat, damit, Schöpfer dieses Objektes zu sein, in dessen Gestaltung das Ich sich spiegelt und das zugleich das Ich in seinem Gestaltungswillen und – empfinden reflektiert. Mit seinen minimalen Arbeiten ist er nah am Ursprung allen bildnerischen Schaffens, der Linie. Tony Cragg spricht von Bolls Arbeit als von einem „phantastischen Schnitt durch die Realität ... Sie erinnert vielleicht an die Geschichte der Menschheit, von ihren winzigen Anfängen an. Wie sie irgendwann ausgeht, dafür sind wir selbst verantwortlich.“
In dieser Ausstellung des Bildhauers Otto Boll werden wir Zeugen eines Dialogs als einem, wenn wir so wollen, assoziativen, intuitiven Schnitt durch die Realität, durch Raum und Zeit. Wir sehen diese künstlerischen Werke plötzlich im Kontext eines über alle Zeiten und Kulturen hinweg gewobenen Netzes künstlerischer, elementarer Ausdrucksformen, in dem es schlicht und einfach um unser Sein geht, damals wie heute.
Susanne Wedewer-Pampus
September 2020
OTTO BOLL
Fundstücke / Schauwerkzeuge
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Ich gehe davon aus, dass die Dinge,
die ich schaffe, zu Stützen werden und gezielt auch
die Bewegungen beinhalten, die dem forschenden
und nach vorne gerichteten Denken selber zu eigen sind.
Die Bewegungen und den Raum des Denkens
und der Vorstellung selbst möchte ich
stärker begreifen lernen...
Otto Boll
Die Galerie Dierking zeigt in ihren Räumlichkeiten am Zürcher Paradeplatz auf zwei Etagen Skulpturen und Modelle des 1952 in Issum bei Geldern geborenen deutschen Künstlers Otto Boll. Die Werkauswahl wird im Zusammenspiel mit antiken Kunstwerken, die vom Bildhauer aus den Sammlungsbeständen der Kunsthandlung Jean David Cahn AG / Basel ausgewählt worden sind, präsentiert.
Gedanken zu dem Dialog von Otto Boll
Ein männlicher Torso, vielleicht der eines Kriegers, vielleicht der eines Bogenschützens – über ihm schwebend eine hauchdünne Linie wie ein Schnitt in der Wand? Im Raum? In der Zeit?
Nur auf einem Punkt in der linken Hand einer kleinen Statuette eines Komödienschauspielers aus dem 4. Jahrhundert vor Christi liegend, schwingt sich eine andere Linie im weiten Bogen in den Raum hinein. Auf das Fragment einer römischen Wandmalerei antwortet ein aus vier feinsten Linien geformtes, nicht ganz in sich geschlossenes Quadrat als Markierung einer weiteren Bildebene, eines imaginären Bildraums. Mit einem Augenzwinkern sucht der Bildhauer Otto Boll mit seinen, aufs Äußerste reduzierten Arbeiten den Dialog mit den von ihm für diese Ausstellung ausgesuchten Zeugnissen vergangener Zeiten und Kulturen. „Das Gesamte soll ein Gespräch sein“, das eher auf Improvisation beruht denn auf einem konkret ausformulierten Skript. Der Fokus liege auf dem, wie er sagt, „was die Dinge untereinander wollen, was sie miteinander zu tun haben.“
Wie bei seinen zeichnerischen Skulpturen geht es Otto Boll in dieser spielerischen Gegenüberstellung einmal mehr um das Schauen und das körperliche Wahrnehmen als für das Verstehen essentielle. Erst in der Bewegung um eine Arbeit herum, im Wechsel der Perspektiven gibt sich diese zu erkennen, denn „ein Dabeisein, die Präsenz, die Nähe der Arbeiten ist notwendige Voraussetzung für ein unmittelbares Erleben.“ - Ob der schwebenden, den Raum durchmessende, ihn durchschneidenden, ihn definierenden Linien – oder ob der Figuren, Schalen, Beilklingen vergangener Kulturen.
Unserem Wunsch als Betrachter, das hier Gesehene sowie das Erlebte in Worte zu fassen, es zu verstehen, wird in diesen Begegnungen nicht selten Einhalt geboten. Natürlich steht uns ein Vokabular zur Verfügung in Form von Begriffen wie Grundform, vergleichbarer Grundstrukturen, analogen Formprinzipien dieser so verschieden daher kommenden und so weit auseinander liegenden Zeiten und Kontexten zugehörigen Werken. Dieses Vokabular kann uns als Instrument dienen, das Gesehene und augenscheinlich Empfundene auf eine rationale und damit auf eine auch objektiv nachvollziehbare Basis zu stellen. Doch Boll geht es um etwas anderes, etwas, was er in einem Bereich verortet, der sich eben diesem Rationalen weitgehend entzieht, ohne dadurch willkürlich oder weniger zwingend zu sein. „Ich gehe davon aus, dass die Dinge, die ich schaffe, zu Stützen werden und gezielt auch die Bewegungen beinhalten, die dem forschenden und nach vorne gerichteten Denken selber zu eigen sind. Die Bewegungen und den Raum des Denkens und der Vorstellung selbst möchte ich stärker begreifen lernen...“ – in dieser Ausstellung geschieht dies im gedanklichen wie formalen „Spiel“ mit Zeugnissen vergangener Kulturen als dem Form gewordenen Ringen um letztlich vergleichbare gedankliche und gestalterische Fragestellungen. Denn was macht diese ungebrochene Faszination von diesen künstlerischen Zeugnissen aus, dieser auch im Kontext von Funktionalität vor Jahrhunderten und Jahrtausenden gefundenen „Lösungen“ zur Form von Gefäßen, Spangen? Boll spricht davon, dass die Herstellung einer Skulptur, eines Gefäßes mit Körperempfindung zu tun hat, damit, Schöpfer dieses Objektes zu sein, in dessen Gestaltung das Ich sich spiegelt und das zugleich das Ich in seinem Gestaltungswillen und – empfinden reflektiert. Mit seinen minimalen Arbeiten ist er nah am Ursprung allen bildnerischen Schaffens, der Linie. Tony Cragg spricht von Bolls Arbeit als von einem „phantastischen Schnitt durch die Realität ... Sie erinnert vielleicht an die Geschichte der Menschheit, von ihren winzigen Anfängen an. Wie sie irgendwann ausgeht, dafür sind wir selbst verantwortlich.“
In dieser Ausstellung des Bildhauers Otto Boll werden wir Zeugen eines Dialogs als einem, wenn wir so wollen, assoziativen, intuitiven Schnitt durch die Realität, durch Raum und Zeit. Wir sehen diese künstlerischen Werke plötzlich im Kontext eines über alle Zeiten und Kulturen hinweg gewobenen Netzes künstlerischer, elementarer Ausdrucksformen, in dem es schlicht und einfach um unser Sein geht, damals wie heute.
Susanne Wedewer-Pampus
September 2020
T.: +41(0) 44 221 51 21
F.: +41(0) 44 221 07 61
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